Samstag, 23. Februar 2019

Namibia, im Süden


Wir fahren von der südafrikanisch-namibischen Grenze weiter durch Karasburg und Grünau (beides gottverlassene Nester); ab Grünau müssen wir Piste fahren, die leider an „serious washouts“ (schweren Auswaschungen) leidet, wie uns ein aufgestelltes Schild verkündet. Ralf liebt ja automobile Herausforderungen und so nimmt er auch diese sofort an (ich wäre da nie gefahren, nicht mit unserem „tiefergelegten“ Toyota Corolla; Bodenfreiheit keine 15 cm). Wir schaffen es tatsächlich, ohne steckenzubleiben und ohne Achsbruch o.ä. und nach „nur“ ca 50 km wird die Piste besser. Unser angesteuerter Übernachtungsort ist das Canyon Roadhouse, das auch einen Campingplatz hat. Dort möchten wir 2 Nächte bleiben – wird aber nix, nur 1 Nacht ist möglich, danach ist die Campsite „fully booked“. Darauf, eines der Zimmer zu buchen, verzichten wir, denn es würde an die 200,00 EUR pro Nacht kosten … irre.
Canyon Road House
Canyon Road House
Am nächsten Morgen geht’s zum Aussichtspunkt des Fish River Canyon – die letzten 10 km sind wiederum grenzwertig miese Piste [ich kapiers nicht: das ist eine Top-Sehenswürdigkeit Namibias. Warum schaffen sie es nicht, die Piste in vernünftigem Zustand zu halten?]. Wir fahren sehr langsam, so geht es. Mehr als Fotos machen ist leider nicht möglich, schade. Für die HeldInnen unter der LeserInnen: es gibt einen Fish River Canyon Walk, 85 km, 5 Tage / 4 Nächte. Nur gehbar zwischen April und September (also den kühleren Monaten) und nur gegen Vorlage eines ärztlichen Attests. Man muss ALLES mitschleppen, inkl. Essen und Wasser.
Blick in den Fish River Canyon
und hier sieht man auch den Fish River, er hat etwas Wasser
Die Weiterfahrt nach Keetmanshoop beschert uns weitere gut 100 km Piste, die aber überwiegend OK zu befahren ist. Unterwegs sehen wir selbstgemalte Schilder: „real coffee and Applestrudel“, na da müssen wir natürlich halten. Es ist die Farm von Meisje + Walt, die sich mit diesem kleinen Verpflegungsangebot plus einem ganz einfachen Campingplatz und 3 zu vermietenden „Iglus“ (Plastikhütten; überraschend ok, wir dürfen reingucken) über Wasser halten. Ich denke: ein  einfaches und auch einsames Leben; aber wer weiß, vielleicht sehen die Beiden das gar nicht so? Die beiden sind in die 50 und sehr nett; da wir Zeit haben, schwatzen wir ausführlich. Hier ein paar Fotos von der Farm:
In Keetmanshoop wohnen wir im „Schützenhaus“ – ja, hier lebt deutsche koloniale Vergangenheit (man fasst es manchmal nicht). Das Gasthaus wurde vor ein paar Jahren renoviert und man hat angebaut und offenbar läuft das Geschäft super. Nachmittags planschen wir im neuen Pool und abends sitzen wir im angeschlossenen Restaurant mit guter, deftiger südafrikanisch-deutscher Küche.
"Stadt"-Straße in K.
ehem. Missionskirche in K., heute Museum
Am Tag drauf fahren wir früh nach Lüderitz. L. an sich ist m.E. keine Reise wert, aber ganz in der Nähe ist der verlassene Ort Kolmanskop (früher in SWA [SWA: Südwestafrika] Kolmannskuppe), und das wollen wir uns mal anschauen. Wir übernachten einmal in L.; es sind von Keetmanshoop ca. 340 km langweiligste, aber sehr gute Teerstraße. Eine willkommene Abwechslung bietet die einzige menschliche Siedlung, das Örtchen Aus, das wir nach 200 km erreichen. Das dortige Bahnhofshotel (existiert auch seit deutsche-Kolonie-Zeiten) ist renoviert und wirklich sehr schön hergerichtet. Wir können mal wieder dem Schild „cake + coffee“ nicht wiederstehen und genießen quasi als Mittagessen jeder ein Stück selbstgebackenen sehr leckeren Cheesecake.
Das Bahnhof-Hotel in Aus
Lüderitz ist ein seltsames Örtchen: auf einer Kaff-Skala von 0 bis 10 definitiv eine 10; andererseits scheint es aber doch eine gewisse Wirtschaftskraft zu geben. Es gibt Büros div. Staatlicher Stellen und div. Organisationen (Marine Research u.ä.) und ein kleines Hafenterminal von Maersk, außerdem überraschend viele Guesthäuser und B+Bs sowie diverse Restaurants.
So ziemlich jedes einstmals von den deutschen Kolonialisten errichtete Gebäude scheint noch zu stehen (wenngleich in sehr unterschiedlichen Stadien der Erhaltung bzw. des Verfalls); ein paar wenige neue Gebäude kamen auch dazu. Es gibt Ecken, wo man die Tristesse des Ortes fast mit Händen greifen kann. Das Licht ist durch die trockene Luft super, daher werden es dann doch ein paar mehr Fotos.

Lüderitz
Lüderitz, Bahnhof (nicht in Betrieb)
Lüderitz, ehem. Bibliothek; daneben die Turnhalle
Lüderitz, am Bahnhof
Lüderitz, Hafenterminal
ein Bild für Freunde der Geologie ...
Lüderitz, Leuchtturm
Lüderitz, aus der Sicht des Ankommenden
Lüderitz
einen Friedhof gibts auch ... außerhalb
Lüderitz
Lüderitz, nochmal Bahnhof, diesmal von vorn
Lüderitz
Lüderitz, viel Sand überall ...
ob der geleert wird? Ich tippe auf Nein ...
Lüderitz, Woermann-Haus (Kaufmann aus HH, war sehr aktiv in SWA)
Lüderitz
Am nächsten Morgen fahren wir nach Kolmanskop, 10 km Richtung Osten (also schon auf unserem Rückweg). Wir haben eine Führung gebucht (anders geht es nicht), selbstverständlich deutschsprachig. Ungefähr eine Stunde lang werden wir herumgeführt und bekommen viel erzählt und erklärt, danach dürfen wir noch auf eigene Faust durch die Ruinen ziehen.
Kolmanskop
Kolmanskop, Stationsschild
Der Ort wurde nach spektakulären Diamantenfunden (sie lagen anfangs einfach so im Sand rum …) zwischen 1908 und 1910 aufgebaut; die letzten Bewohner verließen ihn erst Anfang der 1950er Jahre. Die Diamantvorkommen um K. waren damals erschöpft und man zog weiter südlich, nach Oranjemund,  (direkt an der Grenze zu Südafrika) um die dortigen Vorkommen abzubauen. [Es handelt sich um Tagebau-Minen.] Zu Hochzeiten lebten in Kolmanskop ca. 300 Erwachsene plus um die 50 Kinder. Dazu gab es in der Umgebung ca. ein Dutzend weitere Kleinst-Minenorte (mit jeweils nur einem oder ganz wenigen Häusern). K. war quasi das Zentrum, mit Arzt, Krankenhaus, Grundschule, Kneipe, Kegelbahn, Geschäften, einer Eisfabrik (Stangeneis für die „Kühlschränke“) etc. Man muss diese abgelegene, trockene, sandige, staubige Gegend gesehen haben, um die (man wähle - ) Opferbereitschaft, Geldgier, Verzweiflung …. der damaligen Kolonie-Siedler ansatzweise zu verstehen. Es ist eine unfassbar herausfordernde Umgebung: das Einzige, was es im Überfluss gibt, ist Sand. Alles andere – Wasser, Pflanzenwuchs,  Infrastruktur, „Zivilisation“ gab es gar nicht (und gibt es auch heute gar nicht oder nur in Ansätzen). Es ist entweder sonnig und warm bis heiß oder neblig und feucht. Es regnet praktisch nie.
Alle diese Mini-Örtchen waren mit einer Bahn miteinander verbunden.
Kolmanskop, das Bähnle
es gab auch Sitzplätze ...
Die Bahn wurde per Hand, ohne schweres Gerät, innerhalb von 10 Monaten gebaut und führte von Lüderitz (damals noch Lüderitzbucht) über Kolmanskop bis nach Aus, gute 100 km sind das. Es gab eine eigene „Truppe“, die nur dafür zuständig war, die Schienen sandfrei zu halten – das war eine echte Sisyphusarbeit. Natürlich hat man lokale Arbeiter engagiert, die wurden auch bezahlt; trotzdem waren deren Lebensbedingungen ganz sicher nicht besonders schön. Dieses Bähnle (siehe Foto oben) wurde anfangs von Maultieren gezogen, später von einer kleinen Elektrolok. Es fuhr täglich und brachte die Hausfrauen (wenn ich alles richtig verstanden habe, dann waren die anwesenden weißen Frauen „nur“ das: Hausfrauen) nach K. zum Einkaufen, die Kinder zur Schule etc. und später wieder nach Hause.

Ich wusste vor der Führung praktisch gar nichts über diesen Teil deutscher Kolonialgeschichte und es hat mich tief beeindruckt. M.E. trifft hier der Begriff Geisterstadt wirklich zu: es hat was Unheimliches, durch die verlassenen aber teils recht gut erhaltenen Häuser zu gehen; man spürt etwas großspurig gesagt buchstäblich den vielzitierten Atem der Geschichte.
Ist es so, das Deutsche häufig mit einem Organisationsgen geboren werden?  Alles, wirklich alles, was man für den Bau der Häuser, der Werkstätten, der Mine, der Geschäfte (zB die Wurstmaschinen, die Kessel, die Fleischwölfe für die Metzgerei …) wurde per Schiff von D herbeigeschafft. Was wiederum heißt, man musste es vorher bestellen etc. Das bitte nun vorstellen: ohne Telefon! Ohne Internet! Kein Fax! …. Vermutlich also nur Briefe, aber auch ein Postwesen gab es ja damals in SWA noch nicht so wirklich; die Briefe wurden den Schiffen mitgegeben … Bei mir streikt da die Vorstellungskraft!
Kolmanskop, Eingang zum ehem. Arzt-Wohnhaus
Kolmanskop
Kolmanskop
Kolmanskop, Tierspuren im verwehten Sand
Kolmanskop, spärliche Vegetation
Kolmanskop, spärliche Vegetation
Kolmanskop, spärliche Vegetation
Kolmanskop, am "Kasino", Fundstücke (hier beginnen heute die Touri-Führungen und es gibt ein Café)
Kolmanskop
Kolmanskop
Kolmanskop
Kolmanskop, Kegelbahn im "Kasino"
Kolmanskop, Kegelbahn mit Original-Wandanstrich + Eisschrank
Kolmanskop
Kolmanskop, alte Ladeneinrichtung
Aus den kleinen privaten Minen wurde später unter Oppenheimer die Consolidated Diamond Mines of SWA, die kleinen Minenbesitzer wurden Aktionäre dieser Gesellschaft und heute ist es eine Nachfolgegesellschaft der Consolidated …, die aktuell den Abbau betreibt. Die ganze Gegend ist übrigens seit weit über 100 Jahren Sperrgebiet (nur Anwohner kommen rein) und wird dies wohl noch eine Weile bleiben.

Mittags fahren wir dann wieder zurück nach Keetmanshoop, und sind abends ob der Hitze (38 Grad…) und des vielen Sandes ganz erschossen. Diagnose: wir haben einen Hitze- und Sandkoller sowie eine Eier-mit-Speck-zum-Frühstück Allergie. Wir beschließen deshalb, am nächsten Morgen die 500 km nach Namibias Hauptstadt Windhoek unter die Räder zu nehmen, dort einen Ruhetag einzulegen und dann für einige Tage nochmals an die kühlere Westküste, nach Swakopmund zu fliehen. Urlaub vom Urlaub sozusagen. In Swakop (wie die Leute hier sagen) bleibt die Höchsttemperatur unter 30 Grad, die Nächte sind regelrecht frisch mit 15 / 16 Grad und es gibt die vage Hoffnung, dass wir dort Sauerteigbrot zu kaufen kriegen.

Ihr merkt es schon: wir haben auch einen Brotkoller (was zu erwarten war). In NAM ist es besser als in SA; hier gibt es schon mal Schrippen, die man kauen muss. In SA gab es nur „Wattebrot“, das auch durchs Toasten nicht viel besser wird. Und nach 21/2 Monaten träumen wir von einer Scheibe Graubrot mit Butter und gutem Käse und dazu ein Apfel.

Und hier noch zwei typische Landschaftsfotos aus der Wüste:
Koppie oder Kopje, ein typisches Landschaftsbild. Mitten in der Ebene liegen unvermittelt größere "Steinhaufen" rum. Geologen verstehen es ....
nein, kein Telegrafenmast mit Hut. Die "Hüte" sind Webervogel-Nistkolonien; ein ganz typisches Bild hier in der Gegend.