Mittwoch, 20. Juni 2018

Warum reisen?



Und immer sind da Spuren,
und immer ist einer da gewesen,
und immer ist einer noch höher geklettert
als du es je gekonnt hast, noch viel höher.
Das darf dich nicht entmutigen.
Klettere, steige, steige.
Aber es gibt keine Spitze.
Und es gibt keinen Neuschnee.
(Kurt Tucholsky)



Warum reisen?

Als unsere Reiseidee langsam konkreter wurde, habe ich mir <grübel, grübel…> viele Gedanken gemacht, warum ich reisen will. Gelegentlich wird einem von fremden Leuten ja mal unterstellt, man mache das, um „Angeben“ zu können oder um Anerkennung zu erhalten. Dieses Motiv kann ich für mich (bzw. für uns beide) definitiv ausschließen.

Mich persönlich treibt an:

Die Welt mit eigenen Augen sehen, nicht durch den Filter der Nachrichtenportale à dort sieht die Welt fast nur schrecklich aus, die Erfahrung lehrt aber, dass der eigene Blick ein anderer ist
[Nachrichten sind nie objektiv, der eigene Blick auch nicht. Beides – Gelesenes und selbst Gesehenes – bildet also nicht DIE Realität, DIE Wahrheit ab; sondern ist i.d.R. eine subjektive Momentaufnahme. Im besten Falle führt Reisen dazu, das man ganz in besagtem Moment lebt.]

Weils Spaß macht. bzw. Spaß machen kann – ich will „schön“ reisen, damit meine ich: nicht sehenden Auges in Krisen rennen, keine Rekorde brechen, nicht die schlechteste/höchste/was-auch-immer…Straße der Welt fahren etc. (siehe auch das schöne Tucholsky-Zitat..)
Es gibt unter einem Teil der Langzeitreisenden (die maskuline Form ist hier bewusst gewählt) eine Art inoffiziellen Wettbewerb, wer der Härteste ist: durch den Kongo, durch den Südsudan („alles total easy….“), wer mit dem wenigsten Geld klarkommt etc. Da ist eine Menge Testosteron im Spiel, scheint mir. Und ein wunderbares Betätigungsfeld für Leute, die sonst nie was zu sagen hatten oder aber für die, die das „Ansage machen“ vermissen. Ich nicht. Ich will Ruhe und Frieden und Schönheit.

Was ich uns und mir erhoffe: Zeit haben. Langeweile spüren. Langeweile aushalten, ohne Panik zu bekommen. Analog leben. Langsam leben. Kein „Sooschel Miedja“. Wieder lernen, nicht jeden Menschen gleich in eine Schublade zu stecken (wie man das im Arbeitsleben – meist aus Zeitgründen- eben so macht). Staunen. Sich freuen. Im Moment leben.

Wieder an „das Gute“ glauben können: alle Langzeitreisenden berichten übereinstimmend von ganz überwiegend sehr positiven Begegnungen mit anderen Menschen und Kulturen. Die allermeisten Leute sind freundlich und hilfsbereit. Wenn man zu Hause auf dem Sofa sitzt, denkt man manchmal, die Welt vor der Wohnungstür sei nur noch schlecht, böse und verdorben. Beim Reisen sieht man natürlich auch unschöne, schockierende und manchmal schreckliche Dinge, aber das Positive überwiegt doch immer. Und man erlebt, wie Lebensumstände, zu denen wir saturierten Westler nur „oh Gott!“ sagen würden, von anderen Menschen als normal und nur selten Lebensfreude-beeinträchtigend wahrgenommen werden.

Möglichkeiten nutzen: das Leben ist bekanntermaßen endlich. Und vieles im Leben jeglicher Kreatur ist Schicksal – man hat einfach keinen Einfluss. Wo der Mensch geboren wird, bestimmt zu einem großen Teil sein Leben. Die allermeisten Menschen haben nie die Möglichkeit, ihr Geburtsland zu verlassen, um woanders Chancen zu nutzen. So gings mir ja auch mal, glücklicherweise hat das Schicksal 1989 tief in den Glückstopf gegriffen.